Der deutsche Teufelskreis: Weidel und Wagenknecht lähmen die Berliner Politik
Weil niemand mit den neuen Parteien zusammenarbeiten will, dürfte auch nach der Bundestagswahl eine Koalition entstehen, die keine grossen Würfe zustande bringt. Stillstand scheint programmiert.
In sechs Wochen wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. Diverser als das Parlament, das dabei herauskommen dürfte, war die Volksvertretung der Bundesrepublik noch nie: Nicht weniger als sechs Parteien räumen die Demoskopen realistische Chancen ein, ins Reichstagsgebäude einzuziehen. Damit nähert sich Deutschland Verhältnissen an, die in vielen europäischen Ländern normal sein mögen, die für diejenigen, die in den stabilen Verhältnissen der Bonner Republik sozialisiert wurden, aber noch immer gewöhnungsbedürftig sind.
Das Aufkommen der neuen politischen Kräfte ist ein Krisensymptom: Dass die AfD, aber auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) von den anderen Parteien, aber auch von den Medien als populistisch bezeichnet werden, deutet auch darauf hin, dass sie Lücken ausfüllen, die die etablierten Kräfte in den Augen vieler Wähler gelassen haben.
Die anderen Parteien stellt dies vor erhebliche Probleme, denn anders als in Österreich, den Niederlanden oder Schweden wird eine Zusammenarbeit mit den Populisten als Tabu betrachtet. Für die AfD gilt dies uneingeschränkt und überall; auf Bundesebene ist auch das BSW, mit dem die Christdemokraten in Sachsen und Thüringen zusammenarbeiten, wegen seiner russlandfreundlichen Haltung kein möglicher Partner.
Für Wagenknecht dürfte es knapp werden
Bei Wagenknecht und ihren Leuten ist der Lack mittlerweile ab: In einer neuen Umfrage erreicht das BSW nur noch 4 Prozent und würde damit den Einzug in den Bundestag verpassen. Der Reiz des Neuen hat sich verflüchtigt, und ebenso kometenhaft, wie die erst vor einem Jahr gegründete Partei aufgestiegen ist, könnte sich auch ihr Abstieg vollziehen.
Bei der AfD stellt sich dagegen die Frage, ob man sie nicht mittlerweile auch als etablierte Partei betrachten muss: Sie erreicht in derselben Erhebung 21 Prozent, womit sie vor den Grünen und der SPD auf Platz zwei hinter der Union landen würde. Der Wunsch der anderen Parteien, dass die ungeliebte Konkurrenz am rechten Rand ein vorübergehendes Phänomen sein möge, hat sich nicht erfüllt.
Das haben sich die übrigen Parteien nicht zuletzt auch selbst zuzuschreiben: In der Migrationspolitik haben sie viel zu spät und viel zu zaghaft umgesteuert, um der AfD das Wasser abzugraben. Auch gegen die Industriekrise haben sie bis jetzt kein wirksames Rezept gefunden.
Besserung ist nicht in Sicht
So befindet sich die deutsche Politik in einem Teufelskreis: Da keiner mit der AfD zusammenarbeiten will, müssen die anderen Parteien über ideologische Grenzen hinweg Bündnisse schliessen, die wenig handlungsfähig sind. Die gescheiterte «Ampel» ist dafür das beste Beispiel. Tiefgreifende Reformen sind in solchen Konstellationen kaum möglich.
Und Besserung ist nicht in Sicht: Sollten die Liberalen den Wiedereinzug ins Parlament verpassen, worauf derzeit alle Umfragen hindeuten, wird Friedrich Merz' Union wohl eine Koalition mit den Grünen oder den Sozialdemokraten eingehen müssen. Interne Streitigkeiten und weiterer Stillstand wären damit programmiert – und der Unmut, von dem sich die AfD nährt, dürfte noch weiter wachsen. (aargauerzeitung.ch)
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