Er stürzte 300 Meter in die Tiefe, sein Trainer starb – jetzt steht Popov ganz oben

Albert Popov ist der überraschende Sieger des Klassikers in Norditalien. Seine Geschichte ist auch eine tragische. Ein Schweizer reist derweil als Leader nach Adelboden.

Jan 9, 2025 - 07:41
Er stürzte 300 Meter in die Tiefe, sein Trainer starb – jetzt steht Popov ganz oben

Ein Athlet schreit oben an diesem Hang von Madonna di Campiglio. Er nimmt den linken Stock und versucht, ihn mit voller Kraft über seinem massiven Oberschenkel zu zerbrechen. Als das misslingt, nimmt er den rechten Stock und wirft ihn kurzerhand Richtung Sicherheitsnetze.

Der Frust sitzt tief bei Atle Lie McGrath, dem jungen Norweger, für den eigentlich alles angerichtet war an diesem Abend in Norditalien. Als der 24-Jährige an der ersten Zwischenzeit diese 2. Laufs vorbeirauscht, leuchten 1,21 Sekunden in Grün auf. Seinen dritten Sieg im Weltcup kann sich McGrath nur noch selbst nehmen. Und das tut er dann auch, ein paar Stangen später ist das Rennen vorbei für ihn, hat er eingefädelt – und müssen seine Stöcke büssen für seinen Fehler.

Zu der Zeit schreit auch unten im Ziel einer. Aus anderem Anlass. Albert Popov hüpft da vor der Menge hin und her, streckt einen seiner Ski in die Höhe, während seine Betreuer hinter der Abschrankung ausgelassen jubeln. Der Bulgare hat auch dank des McGrathschen Maleurs erstmals in seiner Karriere ein Weltcuprennen gewonnen. Einmal ist er Dritter geworden, vor zwei Jahren im Slalom von Palisades Tahoe. Und nun also steht er mit seinen 27 Jahren und nach seinem 87. Rennen auf höchster Stufe erstmals ganz oben; ist er, der nur 1,64 Meter misst und entsprechend einem Gummiball gleich durch die Stangen hüpft, der Grösste seines Sports.

Genau 45 Jahre nach seinem bulgarischen Landsmann

Auf den Tag genau 45 Jahre nach dem Sieg von Peter Popangelov, der im Slalom im deutschen Lenggries triumphierte, ist er der zweite Bulgare, dem dieses Kunststück in einem Weltcuprennen gelingt.

Mit der Startnummer 20 ist Popov im ersten Lauf auf Rang 8 vorgestossen, von dort startet der er zu seiner fulminanten Aufholjagd. Mit Laufbestzeit gelingt ihm der grosse Coup. «Es ist brutal», sagt er gegenüber SRF. «Ich hätte es bis zum letzten Athleten nicht gedacht. Aber ich habe gespürt, dass ich richtig schnell unterwegs war, ich wollte alles riskieren – und hatte doch keinen Fehler dabei. Dieser Steilhang ist meiner. Ich wollte auch danach Vollgas geben, das habe ich gemacht, das macht mich stolz.» Seine Geschichte hat aber einen traurigen Beginn.

Popov erlebt in jungen Jahren einen Start in den Weltcup, wie er tragischer kaum sein könnte. Im November 2015 ist er ein aufstrebender Jungfahrer, als das Unglück passiert. Popov, 18-jährig, sitzt in einem Auto mit seinem Trainer Drago Grubelnik und mit Dimitar Hristov, dem Co-Trainer – als dieses von der Gletscherstrasse von Sölden abkommt, den Abhang hinunterstürzt und erst 300 Meter in der Tiefe zu liegen kommt. Grubelnik, der Slowene, einst selbst Slalomspezialist, verstirbt wenig später im Spital; Hristov wird schwer verletzt; Popov kommt mit gebrochenem Sprunggelenk und Knochenbruch in der Wange davon.

Popov, gerade erst im Weltcup angekommen, verpasst eine Saison, der Unfall setzt ihm lange zu. Und doch schafft er den Aufstieg in die Weltspitze. 2019 wird er bei den Slalomklassikern von Kitzbühel und Schladming Neunter und Sechster. 2023 in Palisades Tahoe schafft er es auf Rang 3. Und nun also steht er ganz oben.

Die Schweizer Uhr zwischen den Überraschungsmännern

Es ist eine dieser wunderbaren Geschichten, die der Sport schreibt. Eine andere ist die von Samuel Kolega, dem Kroaten, der jüngst in Alta Badia mit Rang 5 sein bestes Resultat erzielte. Und nun als Dritter an der Seite von Popov seinen ersten Podestplatz feiert.

Zwischen die beiden Debütanten setzt sich ein Athlet, der in dieser Slalomsaison einem Schweizer Uhrwerk gleich sein Programm abspult. Loïc Meillard wird Zweiter und steht zum vierten Mal im fünften Slalom des Winters auf dem Podest. Es ist in dieser Hüst-oder-hott-Disziplin eine Konstanz, die ihresgleichen sucht. Der Mann, der so schön Ski fährt, dass man ihn in der Szene Skilehrer nennt, analysiert nach seinem nächsten Glanzstück nüchtern wie immer. «Im ersten Lauf war ich stabil, da fehlten nur Kleinigkeiten. Im zweiten hatte ich dann immer das Gefühl, zu spät dran zu sein. Das Vertrauen war nicht so gut, es war nicht perfekt. Und Popov ist ganz stark gefahren.»

Vielleicht spart sich der Neuenburger, der schon lange im Wallis wohnt, ja die grossen Emotionen nur auf für nächsten Samstag. Wegen eines befürchteten Wetterumschwungs haben die Veranstalter von Adelboden den Slalom vorverlegt und den Riesenslalom auf Sonntag angesetzt. Für einmal gehört also den Slalomfahrern die ganz grosse Bühne im Berner Oberland. Und Meillard, der beide Disziplinen fährt, wird dieses Rennen erst noch mit der roten Startnummer des Disziplinenführenden in Angriff nehmen.

Auch für Daniel Yule, der in Madonna di Campiglio schon dreimal gewonnen hat, sich in dieser Saison aber schwertut, gibt es eine positive Nachricht: Der Walliser landet auf Rang 7. Mit Tanguy Nef auf Platz 15 schafft es noch ein weiterer Schweizer in die Punkte.

Einen erst erfreulichen und dann bitteren Abend erlebt Noel von Grünigen. Der Sohn von Ski-Legende Michael von Grünigen schafft es mit der Nummer 45 auf Rang 20 des ersten Laufs – scheidet dann aber aus. Den zweiten Lauf verpassen Ramon Zenhäusern und Marc Rochat, Luca Aerni scheidet mit starker Zwischenzeit aus.

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